Rüge an Herrn von Senftleben

Werter Phillip von Senftleben,

das, was Sie da tun, ist das Allerletzte. Zu der Überzeugung musste ich leider vor nicht allzu langer Zeit gelangen. Lassen Sie mich schildern, wie.

Morgens auf dem Weg zur Arbeit erhörte ich Sie das erste Mal im Radio. Auf Anhieb gefiel mir Ihre Stimme, die so warm, so sanft und so wohlmoduliert an meine um diese Uhrzeit doch recht empfindlichen Ohren drang. Ich hörte weiter - und musste schon bald feststellen, dass Ihr Satzbau einwandfrei, Ihre Wortwahl zugleich eloquent und durchaus onomatopoetisch begabt, Ihr Humor so feinsinnig und überraschend, ach, Ihr gesamtes Auftreten einfach wunderbar charmant und einfühlsam ist...

Gleich darauf fand die erste Ernüchterung statt, als ich das Ziel Ihres Strebens erkannte: nur eine Nummer...und schon war das weibliche Wesen, das Sie mit Ihren Worten noch vor Sekunden zur bezaubernsten Frau auf diesem Planeten kürten, nichts weiter als eine Statistin in Ihrem grausamen Spiel.

Sie werden das nicht verstehen. Sie sind ja ein Mann. Aber wissen Sie, ein Anruf wie den Ihren erhalten Damen heutzutage äußerst, äußerst selten. Und unweigerlich keimen Hoffnungen auf, längst als sinnlos abgetan, vom Mann, den man immer suchte und auf dieser Suche in der Vergangenheit so bitterlich enttäuscht wurde. Für die Dauer Ihres Anrufs glaubt die Dame wieder, glaubt an Glück, die Männer und die Liebe. Doch nach dem Auflegen des Hörers wird sie nur noch denken: Klar. War ja auch zu schön um wahr zu sein.

Die zweite Ernüchterung erfuhr ich vor ein paar Tagen, als ich, unfähig, Sie schon vollends zu verurteilen, Nachforschungen anstellte. Denn was musste ich entdecken? Sie sind nichts weiter als ein Geschäftsmann, Ihr Produkt die hohe Kunst des Flirtens. Es ist so erbärmlich. Hinter all dieser Romantik, dieser Feinfühligkeit, dieser Stimme steckt ein skrupelloser Manipulator, der die Interaktion mit Menschen und ihren Gefühlen als einen Sport ansieht, bei dem es möglichst viele Trophäen zu erobern gilt.

Schämen Sie sich! Sie mögen im Business Ihr Unwesen unbehelligt treiben, denn dort geht's für beide Parteien nur um das Geschäft - aber lassen Sie um Himmels willen die Damen dieser Welt nicht mit der zur Gewissheit gewordenen Befürchtung zurück, dass Männer wie Sie nicht existieren, dass sie ihre Träume getrost aufgeben können, dass sie nicht so naiv sein dürfen zu glauben, Worte wie die Ihren würden einzig und allein deswegen an sie gerichtet aus dem ehrlichen Bedürfnis heraus ihr mitzuteilen, sie sei das wundervollste Geschöpf, das er je erblickte.

Herr von Senftleben, Sie töten den letzten Rest von Romantik, die sich sonst so tapfer in unserem Alltag schlägt. Sie machen die Frauen misstrauisch - und damit erschweren Sie allen Männern, die nach Ihnen kommen, den Zugang zum ersehnten Herzen. Aber hier - oh Überraschung - helfen Sie ja höchstselbst den Opfern Ihres Treibens aus der Misere und geben Ihr Wissen gerne an weniger Geübte weiter - Sie schaffen sich somit selbst Ihren Bedarf. Ich gratuliere zu dieser ausgeklügelten Strategie.

Sie werden sicherlich verstehen, dass ich mich über einen Anruf von Ihnen selbstverständlich trotzdem nicht freuen werde.

Mit freundlichen Grüßen,

die junge Dame
konner - 23. Mai, 21:22

junge Dame, diese Geschichte stimmt mich mehr als nachdenklich... Verlieren Sie einfach nicht den Glauben, denn nicht jeder Mann ist ein Trophäensammler. Dass Ihr Männerbild durch die ganze Sache etwas ins Wanken geraten ist, ist aber sehr verständlich. Liebe Grüße, von dieser Stelle aus.

Die junge Dame - 24. Mai, 18:34

Ach, das ist nett von Ihnen. Nur befürchte ich, dass das Bild schon vorher nicht eben standfest war. Aber wer weiss, vielleicht erhalte ich ja eines Tages einen Anruf von so einem charmanten Herrn wie Ihnen. Für heute bin ich schon damit zufrieden, endlich auf Ihren Namen klicken zu können. Ich tu's gleich nochmal.
konner - 24. Mai, 21:19

Nun, Sie scheinen auch sehr charmant zu sein, junge Dame. Zumindest schmeicheln Sie mir heute schon zum dritten Mal. :)
Ich verbleibe mit einer dankbaren Verbeugung und werfe Ihnen noch einen Handkuss zu. Ich freue mich darauf, bald wieder von Ihnen zu lesen!
Die junge Dame - 24. Mai, 21:23

Jetzt bin ich verlegen. Es war zweimal, dachte ich. Aber Sie haben Recht, das war eindeutig zu oft.
Den Handkuss nehme ich selbstverständlich gerne entgegen.
konner - 24. Mai, 21:37

Sie müssen nicht verlegen sein, ich freue mich doch über derartige "Nettigkeiten" (mir fällt grad kein besseres Wort dafür ein) . Heute gibt es sowas nur noch selten zu finden. Schön, wenn man es trotz allem erfahren darf :)
Die junge Dame - 25. Mai, 18:09

Wie kommen Sie denn zu dieser bedauerlichen Überzeugung? Nein, nein - jetzt dürfen Sie mal nicht den Glauben verlieren, Sie Herzbeschwerer.

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